Am 9.1. wurde im Standard folgender Leser-Kommentar unserer Bundesvorstände Vilinthril und c3o veröffentlicht:
Auf das Jahr der Korruption könnte das Jahr der Mitsprache folgen – aber vielleicht ganz anders, als sich das die Regierungsparteien dachten
Nun ist es also so weit. Die etablierten Parteien behaupten, es eingesehen zu haben: Die Menschen müssen auch zwischen den Wahlen mitreden dürfen. Auf das Jahr der zermürbenden Korruptionsskandale folgt nun das Jahr der Mitsprache: Volksbefragungen und das lange versprochene Demokratiepaket emanzipieren die Wählerinnen und Wähler zu aktiven Mitgestaltern der Politik. Das alte Modell hat ausgedient, es ist Zeit für Veränderung.
Alte parteistrategische Denkweisen werden über Bord geworfen, das Wohl der Bürgerinnen und Bürger rückt wieder in den Mittelpunkt des politischen Gestaltens. Nie wieder intransparente Spekulation mit Steuergeld. Nie wieder Staatsbürgerschaft gegen Parteispende. Nie wieder ein Abgeordneter als Lobbyist für die Meistbietenden. Nie wieder frühzeitig abgewürgte Untersuchungsausschüsse. Nie wieder politische Korruption.
Instrumentalisierte Mitsprache
Die Praxis zeigt leider ein anderes Bild: Gute Vorsätze für Verbesserungen weichen häufig strategischen Überlegungen – vor allem angesichts herannahender Wahlen. Das Bedürfnis nach mehr Mitsprache läuft – wie vieles andere im politischen Geschäft – Gefahr, parteipolitisch vereinnahmt und instrumentalisiert zu werden.
Bürgerbeteiligung kommt nur zum Einsatz, wenn sich jemand Mächtiger davon Vorteile erhofft. Gefragt wird zu Themen, die den Parteizentralen genehm sind. Die Formulierung der Fragen deutet schon einmal unmissverständlich das gewünschte Ergebnis an. Der Termin wird passend für den nächsten Wahlkampf zurechtgelegt. Das „Informieren“ wird dem Boulevard überlassen. Statt verbindlich abstimmen zu lassen, wird unverbindlich befragt – und so für den „Notfall“ eines unvorhergesehenen Ergebnisses ein Hintertürchen offen gelassen. Zu schwache Beteiligung an der Abstimmung, ein „knappes“ Ergebnis – mögliche Ausreden dafür, den Bürgerwillen dann doch nicht umzusetzen, gibt es viele.
Das kürzlich vorgestellte Demokratiepaket hat seinen Namen leider nicht verdient, denn von den ursprünglich groß angekündigten Plänen blieb wenig übrig. Die vorgestellten Maßnahmen werden beileibe keine merkbare Stärkung der Bürger oder der Abgeordneten gegenüber den Parteizentralen bewirken können. Dabei waren im Sommer noch zwei Neuerungen im Gespräch, die tatsächlich etwas geändert hätten: Versprochen wurden verpflichtende Volksabstimmungen ab einer gewissen Unterschriftenzahl und ein Minderheitenrecht auf Untersuchungsausschüsse. Beide Ideen wurden „vertagt“. In den Medien schieben sich SPÖ und ÖVP dafür gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Aber vielleicht kommt es beiden gar nicht so unrecht, dass diese Forderungen so im Endeffekt in der Schublade verschwinden – auf Nimmerwiedersehen, könnte man befürchten.
Tatsächliche direkte Demokratie sieht anders aus
Ganz grundlegend: Die Hoheit für die Durchführung von Befragungen und Abstimmungen muss bei den Wahlberechtigten selbst liegen – sonst kann von „direkt“ keine Rede sein. Sowohl die Themen, zu denen eine Volksabstimmung stattfindet, als auch die zur Auswahl stehenden Vorschläge müssen von den Bürgerinnen und Bürgern selbst bestimmt werden. Um eine suggestive Fragestellung zu verhindern, muss eine neutrale Stelle (etwa aus der Judikative) die Neutralität der Formulierungen sicherstellen. Überraschende Fragen über zuvor nicht diskutierte Themen wie die Wiener Bewerbung zur Austragung der Olympischen Spiele hätten in so einem System keine Chance. Bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht gäbe es mehr und genauere Auswahlmöglichkeiten. In Wien wären die möglichen Antworten zum Thema Parkpickerl nicht so unkonkret und unzureichend ausgefallen.
Wer die Faktenlage nicht kennt, kann nicht fundiert entscheiden. Um eine ausreichende und faire Information der Abstimmenden über Pro und Kontra jeder zur Wahl stehenden Option zu gewährleisten, muss ein Abstimmungsbuch, etwa nach Schweizer Vorbild, an alle Haushalte versendet werden und im Internet verfügbar sein. Auch dieses muss von einer neutralen, unbeteiligten Stelle verfasst werden. Schlussendlich muss das Ergebnis selbstverständlich verbindlich sein. Alles andere wäre keine Behandlung der Wahlberechtigten mit Respekt und auf Augenhöhe – notwendige Bedingungen für hohe Beteiligung und verantwortungsvolle Entscheidungen.
Ohne neue Kräfte keine neue Demokratie
Leider scheint es unrealistisch, dass die derzeit aktiven Parteien und Politiker von sich aus zu derartig tiefgreifenden Reformen fähig sind. Wer Macht hat, gibt sie so leicht nicht wieder her. Die Regierungsparteien sind in einer Art politischem Mikado gefangen – wer sich zuerst bewegt, verliert, und zu groß ist die Versuchung, dass zur Debatte kommende Themen von dem einen oder anderen „Partner“ wahltaktisch vereinnahmt werden. Dies gilt mittlerweile nicht mehr nur im Bund – auch in der Wiener Landesregierung zeigen sich bereits ähnliche Szenarien. Und was tatsächlich passiert, wenn jene ans Ruder kommen, die für sich besonders beanspruchen, Vertreter des „kleinen Mannes“ zu sein, hat die Vergangenheit gezeigt: Überall dort, wo sie an die Macht kamen, lösten sie selbst Demokratiekrisen aus.
Wahrscheinlicher ist, dass es für ein neues Aufleben der Demokratie des Einzugs neuer Parteien (wie der Piraten und Neos) ins Parlament bedarf, die Transparenz und Mitbestimmung tagtäglich vorleben und noch nicht „part of the game“ sind. Nur deren Absicht, das System so zu reformieren, dass echte Partizipation der Bürgerinnen und Bürger möglich wird, ist noch glaubwürdig. So könnte 2013 dann schließlich doch noch zum Jahr der Demokratie werden. (Christopher Clay/Lukas Daniel Klausner, Leserkommentar, derStandard.at, 9.1.2013)
http://derstandard.at/1356427151894/2013-Das-Jahr-der-Demokratie