von Bruno Kramm.
Hinter verschlossenen Türen wird die größte Freihandelszone der Welt geplant. Unter dem Namen TTIP verhandeln EU und USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Über die Inhalte ist wenig bekannt. Warum eigentlich?
Das Netz ist voll mit Informationen über TTIP. Die »Stakeholder«, also alle relevanten Interessengruppen, sind an den Verhandlungen beteiligt. Die Webseite der EU versichert, dass man sich verpflichtet fühle, der Öffentlichkeit »ein Maximum an Information darüber« bereitzustellen. Alles in Butter also?
Nein! Denn in der Tat veröffentlicht die EU auf ihrer Webseite Unmengen nebensächlicher Informationen, vorwiegend Absichtserklärungen, dass Bürgerrechte, Umwelt- und Verbraucherschutz selbstverständlich nicht beeinträchtigt werden. Den gegenwärtigen Verhandlungsstand findet man dort allerdings nicht. Man kann vermuten, warum das so ist: Würden die Details bekannt, könnte das Abkommen in starke Kritik geraten und – wie um den Jahrtausendwechsel die »Gesamtamerikanische Freihandelszone« FTTA – schließlich untergehen. Jedenfalls vermutete das der ehemalige amerikanische Handelsvertreter Ron Kirk in einem Reuters-Interview.
Und so werden, vielleicht, nach Abschluss einer Verhandlungsrunde die Positionspapiere der EU und der beteiligten Interessengruppen veröffentlicht. Allein ein Blick in die Liste dieser Interessengruppen lässt Böses ahnen. Aber die EU-Kommission hat sich ja eigens Transparenzrichtlinien gegeben: Diese legen fest, dass die Interessenverbände, die – wie aus der Liste hervorgeht – ausschließlich die Interessen von Industrie- und Handelsunternehmen vertreten, ausreichend früh vor Beginn jeder Verhandlungsrunde zu Stellungnahmen eingeladen werden. Auch die »Zivilgesellschaft« ist eingeladen, an »regelmäßigen Treffen« in Brüssel teilzunehmen. Wohlgemerkt: teilzunehmen! Stellungnahmen von Bürgern, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen sind nicht vorgesehen. Und wie die Treffen in Brüssel ablaufen, wird anhand eines Protokolls eines solchen Treffens recht schnell klar. Ein Blick auf Seite 3 lohnt, wo der stellvertretende Chefunterhändler der EU dem berechtigten Wunsch der »Friends of the Earth Europe« nach Offenlegung der relevanten Dokumente einfach meisterhaft ausweicht. Er weist nämlich als Antwort darauf hin, dass man ja noch in einer ganz frühen Verhandlungsphase sei und der »Input« aller »Stakeholder« berücksichtigt würde. Ein rascher Blick in die Liste [5] der »Stakeholder« offenbart allerdings die wenig überraschende Tatsache, dass die »Friends of the Earth Europe« damit wohl nicht gemeint waren.
Sogar das offizielle Verhandlungsmandat der europäischen Delegation, das den Verhandlungsrahmen aus Sicht der EU absteckt, musste erst von »Inside US Trade«, einem kommerziellen Nachrichtendienst, geleakt werden.
Allergrößte Sorge ist also angebracht. Denn anders als bei ACTA soll diesmal nichts vorzeitig an die Öffentlichkeit dringen, während den Interessengruppen offenbar weitgehende Vorschlags- und Mitspracherechte eingeräumt werden. Da also die Strukturen dieselben sind wie bei den Verhandlungen zu anderen »Freihandelsabkommen«, darf man auch ähnliche Ergebnisse erwarten.
Was also ist das Ziel von TTIP? Schon der Name »Transatlantic Trade and Investment Partnership« zeigt, wo es lang geht. Wie dem Verhandlungsmandat zu entnehmen ist, sollen »unnötige« Handelshindernisse, die sich durch unterschiedliche gesetzliche Regelungen in den Mitgliedstaaten ergeben, abgebaut werden. Und zwar durch alle Regierungs- und Verwaltungsebenen hindurch. Zwar beeilt sich das Mandat hinzuzufügen, dass Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz auf einem Niveau bleiben sollen, »das jeder Seite angemessen erscheint oder legitime Regulierungsziele anderswie erfüllt«. Angesichts der sehr einseitigen Einbeziehung der Interessengruppen darf man sich fragen, was in diesem Zusammenhang »angemessen« und »legitim« bedeutet.
Da die aktuell verhandelten Dokumente nicht bekannt sind, müssen wir die vorliegenden Informationen aus ähnlichen Freihandelsabkommen auf die Situation bei TTIP übertragen. Da dort die Strukturen und Verhandlungsziele ganz ähnlich sind, erscheint dies angemessen. Sollte bei TTIP irgendetwas anders oder besser laufen, steht es den Verhandlungsführern ja jederzeit frei, durch Offenlegung der relevanten Dokumente Klarheit zu schaffen.
Wir übersetzen also mal für Euch:
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TTIP soll unnötige Handelshindernisse abbauen und Handels- und Industrieunternehmen eine Klagemöglichkeit einräumen, um gegen Staaten vorzugehen, die solche Hindernisse aufbauen.
Praktisch wird daraus:
TTIP führt dazu, dass Unternehmen und Konzerne in anderen Ländern nicht stärker in ihrer Handels- und Investitionsfreiheit (Trade and Investment – das »TI« in TTIP) eingeschränkt werden als in ihren Heimatländern. So werden sich die Regeln zum Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einpendeln. Staaten mit hohen Standards wie Deutschland müssten sich drastischen Strafzahlungen aussetzen, wenn sie ihr Niveau aufrechterhalten wollen.
Am Beispiel:
Die amerikanische »Lone Pine Resources« verklagt Kanada aufgrund des »Nordamerikanischen Freihandelsabkommens« NAFTA auf 250 Millionen US-Dollar, weil Kanada ihnen »beliebig, unberechenbar und ungesetzlich das Recht entzieht, unter dem St. Lawrence River Öl und Gas zu fördern«. Das Unternehmen möchte dort Bohrungen mit »Hydraulic Fracturing« durchführen. Das Verfahren ist hier besser unter dem Namen »Fracking« bekannt und beruht auf dem Einpressen von gefährlichen Chemikalien in den Boden, um dort enthaltenes Gas und Öl herauszutreiben. Wegen der vielfältigen Risiken wenden sich die Piraten gegen dieses Verfahren.
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TTIP soll durch Vereinheitlichung hoher, aber in den einzelnen Staaten unterschiedlich formulierter Standards den Aufwand für Handel und Investition senken und Handelsrisiken vermeiden.
Praktisch wird daraus:
In langjähriger Auseinandersetzung erreichte Schutzstandards etwa gegen die sogenannte »Grüne Gentechnik« werden wieder in Frage gestellt.
Am Beispiel:
In direktem Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen bieten sich europäische Lobbyfirmen bereits amerikanischen Landwirtschaftsunternehmen an, um ihnen »in der EU Gehör zu verschaffen« und »die überwältigende Ablehnung von GMO in der EU zu überwinden«. Mit »GMO« sind dabei gentechnisch manipulierte Organismen gemeint. Auch wenn die »Fragen und Antworten« auf der Webseite der EU noch abwiegeln: Der Genmais ist schon unterwegs zu uns. Und da die Regelungen, so die Zielsetzung des Freihandelsabkommens, durch alle Verwaltungsebenen hindurch gelten sollen, werden gentechnikfreie Regionen in Deutschland es schwer haben, ihren Anspruch aufrecht zu erhalten. Die Piraten wenden sich aufgrund hoher bekannter und vieler weiterer, noch nicht ausreichend erforschter Risiken gegen Grüne Gentechnik.
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TTIP wird die Position des Europäischen Parlaments – das gegen ACTA gestimmt hat – voll und ganz respektieren. „ACTA durch die Hintertür“ wird es nicht geben.
Praktisch wird daraus:
Die Rechteverwerter nutzen ihren Zugang zu den Verhandlungen und diktieren Delegationen die bereits bekannten Positionen in die nicht zur Veröffentlichung bestimmten Texte.
Am Beispiel:
WikiLeaks veröffentlichte vor kurzem ein Dokument, das – unwidersprochen – das Kapitel über »Geistiges Eigentum« aus den parallel geführten Verhandlungen über ein »Transpazifisches Freihandelsabkommen« (TPP) wiedergibt. Der Text ähnelt dem auf Druck der Öffentlichkeit vom Europäischen Parlament abgelehnten »Anti-Counterfeiting Trade Agreement« (ACTA). Durch bessere Geheimhaltung der Zwischenstände des Vertragstextes soll diesmal der breite öffentliche Widerstand verhindert werden und so die ursprüngliche Absicht dennoch durchgesetzt werden. Die Piraten haben in den Jahren 2011 und 2012 in engem Schulterschluss mit vielen anderen Organisationen dafür gesorgt, dass ACTA in die öffentliche Wahrnehmung kam und schließlich abgelehnt wurde.
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TTIP verspricht »hunderttausende Arbeitsplätze« und ein »Mehreinkommen von 545 EUR für den durchschnittlichen EU-Haushalt«.
Praktisch wird daraus:
Vorhandene Infrastruktur in weniger hoch entwickelten Partnerstaaten wird nachhaltig gestört. Niedriglöhne werden zum Wettbewerbsfaktor. Durch das Klagerecht der Investoren werden bestehende Mindeststandards beim Arbeitnehmerschutz unterwandert, etwa durch mehr Leiharbeit.
Am Beispiel:
Das »Nordamerikanischen Freihandelsabkommen« NAFTA, dem wir bereits beim Fracking begegnet sind, hat in Mexiko für einen Niedergang der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gesorgt, die dem Konkurrenzdruck nicht standhalten konnte. Die dort geschaffenen Arbeitsplätze wandern wieder ab, sobald sich ein neues Land anbietet, das noch geringere Lohnkosten in Aussicht stellt. Die Piraten setzen sich für eine Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und der Arbeitnehmerrechte ein.
Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden, denn anders als ACTA betrifft TTIP alle Bereiche der Wirtschaft und des Lebens. Aber die Bürgerrechts-, Verbraucherschutz- und Umweltverbände und die Piraten sind gewarnt.
Wir fordern als ersten Schritt eine sofortige und umfassende Offenlegung aller Dokumente aus dem Verhandlungsprozess. Auch die nationalen Parlamente müssen verfahrensbegleitend in die Verhandlungen einbezogen werden. Die dadurch mögliche breite öffentliche Diskussion über die Folgen der diskutierten Regelungen bildet das notwendige Gegengewicht zum Einfluss der Großunternehmen und Handelsverbände. Es darf keinen Ausverkauf unserer Zukunft hinter verschlossenen Türen geben!